Edel-Eberesche
Vitamin-C aus dem Garten
Wenn der Nebel und die Kälte langsam wieder durch die Täler streifen und der Sommer sich endgültig verabschiedet, beginnen die orangeroten Früchte der Eberesche zu leuchten. In grossen Büscheln hängen die Früchte, die wie kleine Äpfel aussehen, herab. Massenhaft hängen sie an den Bäumen und erfreuen unsere Augen und auch die Bäuche mancher Vögel.
Vogelbeere ist doch giftig, oder?
Umgangssprachlich wird die Eberesche als Vogelbeere bezeichnet und meist wird den Kindern beigebracht, dass sie giftig sei. Das ist per se nicht falsch, allerdings kann es zu Missverständnissen führen, da ja auch Apfelkerne und Kartoffeln giftig sind. Wie Paracelsus schon gesagt haben soll, «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist», müsste man, um an der enthaltenen Parasorbinsäure zu sterben, müsste man mehr als das eigene Körpergewicht an Vogelbeeren essen. In den Edel-Ebereschen ist noch weniger Parasorbinsäure enthalten, weshalb sie auch deutlich weniger bitter schmecken. Zudem wandelt sich die Parasorbinsäure bei Erwärmung in den Konservierungsstoff Sorbinsäure um. Dieser wird in der Lebensmittelindustrie als E200 eingesetzt und gilt als vollkommen unbedenklich und verträglich.
Weniger bitter, mehr Zucker
Anklang in der breiten Bevölkerung findet die Eberesche jedoch schon länger nicht mehr, da unsere Gaumen nicht mehr auf bitter und herb gestimmt sind. Höchstens als Ersatz für Preiselbeergelee oder eben als edler Schnaps wird sie noch hier und dort genossen. Doch zum Glück, so sagt es die Legende, fand ein Hirtenjunge um 1810 im böhmischen Altvatergebirge, durch Zufall, die Mährische Eberesche, eine Eberesche mit deutlich weniger Parasorbinsäure und dadurch deutlich weniger Bittergeschmack. Zudem sind die Früchte ein wenig grösser und enthalten ein wenig mehr Zucker. Aus dieser Zufallsmutation gingen sämtliche Sorten hervor, die später genutzt werden sollten. 1954 begann in der ehemaligen DDR die industrielle Produktion von Edel-Ebereschenfrüchten und wird nach wie vor dort angebaut. Einen richtigen Durchbruch konnte sie jedoch nie erreichen, vielleicht, weil sie nun mal Vogelbeere heisst. Als Hausbaum und als nutzbares Obst aus dem Garten erfreut sie sich allerdings grosser Beliebtheit, was ich, seit ich die gedörrten Früchte meines eigenen Baumes gekostet habe, sehr gut verstehen kann. Rosinen mit einem Hauch von Vogelbeere. Lecker.
Text: Mathias Leierer
